Klimacamps und Aktionen gegen den fossilen Kapitalismus
Das Collective Climate Justice organisiert Klimacamps und Aktionen des zivilen Ungehorsams in der Schweiz. In ihrer Arbeit fokussieren sie sich auf den Kampf gegen den fossilen Kapitalismus.
Mit dezentralen Aktionen in kleinen Gruppen – sogenannte Climate Games – bespielte das Kollektiv 2017 verschiedene Orte der Klimazerstörung in Basel. Das Jahr darauf wurde der Ölhafen in Basel blockiert. 2019 stellte sich das Collective Climate Justice gegen die klimazerstörerische Wirkung der Finanzindustrie. Die Hauptsitze zweier Schweizer Banken wurden dabei besetzt.
Das Interview ist 2019 mit einer Person des Kollektivs* auf dem Klimacamp Rheinland durchgeführt worden.
* Das Interview spiegelt die persönliche Meinung der Person wider und kann von Positionen des Kollektivs sowie anderen Meinungen innerhalb des Kollektivs abweichen.

Was ist das Collective Climate Justice Basel?
Bisher hatten wir immer einmal im Jahr ein Camp. Es gibt jetzt aber auch immer mal wieder so Aktionen zwischendurch, die zum Teil im Namen des Kollektivs sind und zum Teil einfach so passieren. Klar sind es die gleichen Leute – es ist nicht so, dass nur eine einzige Aktion läuft pro Jahr. Es läuft schon einiges mehr. Aber bisher war es hauptsächlich ein größeres Ding pro Jahr.
Warum habt ihr euch dieses Jahr für die Banken als Thema und Aktionsziel entschieden?
Der Finanzplatz, die Großbanken verursachen das X-Fache des CO2- Ausstoßes der gesamten Schweiz. Ich glaub ca. das 20-Fache oder noch mehr. Damit ist der Finanzplatz – auch außerhalb der Schweiz gesehen – der größte Hebel und damit der klimarelevanteste Schauplatz. Er ist aber nicht so einfach zu bespielen. Banken stehen auch als das Symbol des Kapitalismus – also sind sie auch aus dem Aspekt schon attraktiv.
Die andere Überlegung, die wir noch hatten, war wieder auf die Ölinfrastuktur zu gehen. Die Überlegung dahinter war, dass der Ort für sich steht. Da muss man niemandem erklären, was das soll. Und es ist leicht, die Ölinfrastruktur effektiv zu blockieren. Die beiden Überlegungen standen im Raum. Wir haben überlegt, was besser funktionieren könnte und was mehr Wirkung haben würde. Außerdem ist die Frage, worauf Menschen mehr Lust haben, auch immer relevant. Es war nicht einfach zu entscheiden. Aber am Ende haben wir uns für die Banken entschieden.
Und die Gestaltung der Aktion?
Die Frage, was wir genau machen wollen, war auch nicht ganz einfach zu beantworten. Eine rein symbolische Aktion irgendwo in einer Schalterhalle? Oder eine effektive Blockade?
Wir haben uns dann entschieden, die beiden Eingänge zu den Büros an beiden Hauptsitzen zu blockieren. Das Ziel war, die Bankmitarbeiter:innen daran zu hindern Geschäfte abzuwickeln und nicht die Personen am Schalter daran zu hindern Kleingeld zu zählen. Uns war auch bewusst, dass in Zeiten von Internet – gerade bei einer so großen Firma und Dutzenden von Bürogebäuden – der wirkliche Blockadeeffekt nicht so riesig ist. Klar, es gab schon einige Menschen, die bei der Arbeit ein wenig gestört wurden. Das war ersichtlich. Aber es war klar, dass wir damit jetzt nicht die Bank lahmlegen können. Es war uns wichtig, dass es auch eine effektive Blockade ist – im Bewusstsein, dass es im Großen und Ganzen schon hauptsächlich Symbolhandlung ist.
Wie bewertest du symbolische und direkte Aktionen in ihrer Effektivität? War die Art der Aktion auch ein Kriterium bei der Auswahl des Aktionsziels?
Ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich weiß, dass direkte Aktionen effektiver sind. Ich denke es aber eigentlich schon. Und das war sehr wohl ein Kriterium für die Entscheidung.
Das hat am Anfang auch mehr für die Ölinfrastruktur gesprochen und die Tragweite hat eher für die Banken gesprochen. Eigentlich würde ich mir wünschen, dass wir uns in der Bewegung mehr mit dem ganzen Thema „direkte Aktion“ – sei es Sabotage, sei es Dekonstruktion – beschäftigen würden. Ich würde mich sehr freuen, wenn die „gewaltfreie Sabotage“ mit zur klassischen „direkten gewaltfreien Aktion“, wie sie Ende Gelände macht, gezählt werden würde und damit salonfähig werden würde. Oft ist die ganze Sachbeschädigung explizit ausgeschlossen. Dafür kann es natürlich immer gute Gründe geben. Das liegt an dem jeweiligen Projekt. Ich fände
es aber sehr schön, wenn da – und das ist natürlich extrem schwer zu formulieren – mehr Offenheit herrschen würde. Wir haben in unserem Aktionskonsens Sachbeschädigung bewusst nicht ausgeschlossen.
Ich möchte nicht generell gegen symbolische Aktionen reden. Ich glaube, sie haben ihre Wirkung – teilweise eine sehr große. Also die ganze Öffentlichkeitsdebatte und der Mindset-Shift, der daraus entsteht. Statt einer Sabotage, die niemand mitkriegt, ist etwas Symbolisches vielleicht schon sinnvoller. Aber eigentlich kriegt eine Sabotage immer jemand mit. Aber z.B. bei einer komischen, kleinen direkten Aktion, die niemand mitkriegt – da hätte dann vermutlich eine symbolische Aktion, die alle mitkriegen, mehr Wirkung.
Somit stellt sich dann auch die Frage: „Wen möchte ich wie ansprechen?“ Ich glaube nicht, dass wir nur mit symbolischen Aktionen genügend Druck aufbauen können. Ich persönlich fände es stark, wenn es mehr in Richtung Dekonstruktion gehen würde. Gerade bei Aktionen, die den Ölhafen oder eine Kohlegrube blockieren. Dabei ist schon die Botschaft, dass wir es wirklich ernst meinen und es im Notfall selber tun, sehr effektiv. Natürlich mit dem Bewusstsein, dass es uns nie möglich sein wird, diese Arbeit selbst zu Ende zu führen. Aber zu zeigen: Da gibt es Menschen, die sagen nicht nur: „Wir brauchen Klimaneutralität bis 2030“, sondern die tun etwas, denen ist es ernst, das sendet eine Botschaft. Und ich glaube, diese Botschaft hat eine sehr starke Wirkung. Die Botschaft der Handlung.
Wie siehst du das Verhältnis zwischen Klimacamp und Aktion?
Ich finde das Camp hat bei Weitem wesentlich mehr Funktionen als die Aktion. Das Camp ist extrem wichtig fürs Teambuilding, es können neue Menschen gut dazustoßen, die ganze Bildung am Camp, das Leben… Eigentlich geht es am Camp um ein Lebensgefühl. Es ist extrem wichtig, dass man dieses klimagerechtere Leben fühlen kann. Dieses Leben ist in der Regel wesentlich angenehmer als der durchschnittliche Alltag.
Das Camp ist natürlich ganz klar eine wichtige Basis und Ressource für die ganzen Aktionsgeschichten. Es ist nicht ganz einfach, diese beiden Aspekte in Einklang zu bringen. Also, dass dann während dem Camp das Camp schon fast in den Hintergrund tritt, weil irgendwie alle noch die letzten Aktionsvorbereitungen machen. Während der Aktion selbst geht im Camp eigentlich nichts. Da hat es wirklich die Funktion ‚Aktionssupport‘. Und das ist auch okay.
Wie stehst du dazu, dass Camp und Aktion nebeneinander stehen?
Ich kann verstehen, wenn Gruppen sagen: „Wir machen nur ein Aktionscamp.“ Da geht’s nur darum, irgendwie Essen, Schlafen und Trainings zu organisieren – und sonst nichts. Und dann machen andere ein Camp, wo es keine oder nur eine kleine Aktion gibt. Dafür haben wir dann auch wirklich Zeit. Und andererseits gehört beides auch zusammen. Es hat alles sein Für und Wider.
Wir haben ja hier in der Schweiz auch noch ein Klimacampdorf in einem Festival. Das ist ein Festival zwischen Burning Man und Rainbowgathering. Es ist gibt kein Geld, es ist frei von fossiler und nuklearer Energie, selbstorganisiert und es gibt kein organisiertes Programm. Die Leute machen selber das Programm. Ich finde, da passen wir eigentlich gut rein. Das Festival übernimmt sozusagen die Mobilisierung für uns. Wir treffen da auf Menschen, die häufig eigentlich ein ähnliches Mindset wie wir haben, aber irgendwie nicht den Zugang für das Aktivistische in ihrem Leben gefunden haben. Und da gibt es dann auch keine Aktion. Da ist viel mehr Raum für Austausch und Erfahrung.
Bis jetzt war immer die Entscheidung: Wir machen beides so gut wir können. Ich glaube, ein Stück der Frage ist, wie viele Leute haben worauf Lust. Worauf Menschen wirklich Lust haben bestimmt auch die Energie und die Ressourcen, die man als Gruppe in Projekte stecken kann. Ich finde, das ist eine Frage, die es sich lohnt in Gruppen wirklich zu stellen: „Worauf haben wir Lust?“ Und wenn wir drei gleich große Prioritäten haben, dann müssen wir da überall was reinstecken.
Was würdest du persönlich priorisieren?
Ich glaube, Aktionen machen wir sowieso. Das ist irgendwie ein Stück weit der Kern unserer Arbeit. Je nach Aktion braucht es ein Camp dafür oder nicht. Und die Klimacamps sind für mich schon nochmal was anderes – das Gefühl, Teambuilding, Befähigung, Das Gute Leben. Dinge, die ich extrem berechtigt und wichtig finde.
Exkurs: Das Gute Leben
Das Konzept stammt von den indigenen Gesellschaften im Anden- raum Südamerikas und bezieht sich auf den Begriff Sumak kawsay bzw. Buen Vivir. Er bezeichnet ein Zusammenleben in Zufriedenheit und Harmonie, wobei weder natürliche Ressourcen ausgebeutet noch auf Kosten anderer Menschen und Generationen gelebt wird. Das Kon- zept wurde bekannt als es 2008 in der Verfassung von Ecuador verankert wurde.
Buen Vivir wird oft als Gegenkonzept zu Wirtschaftswachstum und Kapitalismus verstanden.
Wenn ich das kombinieren kann, ist das gut. Wenn nicht, dann macht man beides. Ich finde, es ist generell meistens müßig sich zu überlegen: Was ist jetzt die beste Aktion, was ist die beste Strategie. Wir sehen im Nachhinein, was nicht klappt und was gut klappt. Wenn wir es nicht versuchen, wissen wir es nicht. Klar braucht es eine Analyse und da müssen wir uns die Frage stellen, ob das überhaupt einen Zweck hat oder ob das für nichts ist. Aber wenn wir den Eindruck haben, es ist für was, dann haben wir Bock drauf oder nicht. Ich würde auch stark dafür plädieren, dass das Kriterium Lust sehr hoch gewichtet wird für die Planung. Gerade im freiwilligen Bereich und ehrenamtlichen Bereich finde ich das extrem wichtig. Ich hab den Eindruck, dass das gut gemacht wird, was die Leute gern tun. Bei allem anderen muss man hinterherspringen und es wird dann oft nicht gut gemacht. Sicher nicht bei allem, aber tendenziell finde ich das ein sehr wichtiges Kriterium.
Woran denkst du, wenn du über „Lust“ als Kriterium redest?
Bei den Camps ist das für mich das ganze Rahmenprogramm. Da braucht es dann auch Das Gute Leben. Wie viel Spaß das Ganze macht, liegt aber auch am Team und nicht nur am Projekt. Da sind wir eigentlich nicht schlecht: Mit achtsamer Plenumsmoderation, langen Pausen auch dazwischen, wo man zum Quatschen kommt. Dass es der Gruppe gut geht, ist wichtig. Das Camp selbst sehe ich als extrem wichtigen Ort für die Orga Crew.
Wo und wie trefft ihr eure Entscheidungen?
Wir haben ein Planungswochenende und dort haben wir auch in diesem Jahr entschieden, den Finanzplatz, die Großbanken ins Visier zu nehmen. Wir haben ein basisdemokratisches Grundverständnis und eine konsensorientierte Arbeitsweise. Das Plenum hat die letzte Entscheidungsgewalt.
Dann haben wir grundsätzlich neben dem monatlichen, ungefähr vierstündigen Plenum auch eine Mailingliste oder einen Chat für das Netzwerk. Da sind Menschen drin, die jetzt nicht Bock haben, bei Planungssitzungen zu sein, aber die man anfragen kann, ob sie bei bestimmten Dingen mithelfen.
Wie evaluiert ihr eure Arbeit?
Das kommt drauf an. Manchmal muss man sich zuerst mit den Repressionen beschäftigen. Sobald da das Nötigste getan ist, wird mindestens ein Plenum – das ist meist einen Sonntagnachmittag oder Samstagnachmittag lang – für Evaluation, Gedanken und Zurückschauen verwendet.
Wie ist die aktuelle Situation rund um die Repression von eurer letzten Aktion? Wie beeinflusst die Repression eure nächsten Aktionen?
Ich weiß gar nicht so genau, was gerade die Gesamtmeinung dazu ist, wie wir weiter mit zukünftigen Aktionen und Repressionen tun. Klarist,dassjetztimMomentmalEnergieindieganzeAnti-Repressionsarbeit fließen muss. Ich glaube, wir brauchen 60.000 bis 100.000 Franken. Über ein Crowdfunding sind schon 40.000 bis 50.000 aufgestellt worden. Das hat sehr gut funktioniert. Eine Organisation ähnlich zu Campact hat sofort unser Crowdfunding über ihre Mailingliste beworben.
Ich bin tendenziell der Ansicht, und das ist eine persönliche Sache, dass wir uns fragen müssen, wie viel Energie wir diesem ganzen Anti-Repressionsaspekt widmen möchten. Ein gewisses Maß ist – vor und nach der Aktion – sicher notwendig. Nachher brauche ich die Beratung. Wenn es Sinn macht, laufen Gerichtsprozesse und das wird dann auch nochmal für Medienarbeit und so genutzt.
Ich persönlich finde, wir sollten dem Thema möglichst wenig Energie, möglichst wenig Zeit geben. Das Thema Repression kann abschreckend und es kann auch demobilisierend sein. Wenn es möglich ist, bin ich dafür juristische Probleme mit Geld zu lösen. Gerade wenn es relativ aussichtslose Prozesse sind. Außer man hat das Gefühl, man kann da wirklich für die Kampagne, für die Sache was groß rausholen. Aber das ist eher eine persönliche Meinung.
Trotzdem ist es mir natürlich sehr wichtig, sich um die Betroffenen von Repression zu kümmern und die Folgen möglichst klein zu halten. Seien das Traumata oder juristische Langzeitfolgen. Mir ist wichtig, dass
Repression nicht entmutigt und passiv macht, aber wir sollten uns auch nicht in das Thema verbeißen und uns von unseren Kampagnenthemen ablenken lassen.
Mit welchen Gruppen arbeitet ihr zusammen? Mit welchen nicht?
Wir haben da keinen genauen Kriterienkatalog. Wichtig ist, dass es eine Gruppe aus dem Gerechtigkeitskontext ist und es nicht nur um Klima geht. Es gibt Veranstaltungen bspw. aus dem antirassistischen Spektrum – z.B. einem Sponsorenlauf gegen Grenzen –, da helfen wir aus und machen dann auch einen Stand. Diese Art von Zusammenarbeit gibt es häufiger und auch Infoveranstaltungen. Ich habe das Gefühl, wir sind da eine der ersten Adressen in der Schweiz, die bei Veranstaltungen rund um Aktionen und Klimagerechtigkeit angefragt wird.
Ich erinnere mich jetzt gerade nicht, dass wir mal wo angefragt worden sind und dann abgelehnt haben. Wenn, dann eher aus Kapazitätsgründen.
Fragen zur Einordnung des Collective Climate Justice:
- Wie würdest du das Verständnis von gesellschaftlicher Machtverteilung der Gruppe Collective Climate Justice beschreiben?
- Was würdest du als die Hauptstrategie des Kollektivs beschreiben? Was als die Haupttaktik?
- Wo siehst du die Hauptunterschiede zwischen deinen politischen Ansichten und denen der hier interviewten Person? Womit stimmst du überein, womit nicht?
- Was sind die Zielgruppen und Adressat:innen der beschriebenen Aktionen sowie der zwei verschiedenen Camp-Arten?
Fragen zum Weiterdenken in deiner Gruppe:
- Wie bewertet ihr die Rolle der Finanzindustrie in der Klimakrise?
- Teilt ihr die Einschätzung der Person zu dem Stellenwert/der Rolle von Spaß in der politischen Arbeit?
- Wie schätzt ihr die Wirkung von symbolischen vs. direkten Aktionen ein? Was denkt ihr zu Sabotage?
- Wie begegnet ihr Repressionen bzw. wie wollt ihr Repressionen in eurer Gruppe zukünftig begegnen?