Fazit

Meine persönlichen Schlussfolgerungen

Gibt es ein Grundrezept für sozialen Wandel? Wie schön wäre es, wenn die Antwort ja sein könnte. Doch so einfach ist es in meinen Augen nicht. Menschen können klarerweise zu anderen Schlüssen kommen. Ziel der Interviews und Texte in dieser Broschüre ist es ja gerade, dass Menschen sich ihre eigenen Gedanken machen. Ich möchte euch hier trotzdem gerne mein persönliches Fazit aus der Arbeit an dieser Broschüre präsentieren.

Der one solution fits all-Ansatz ist, meiner Meinung nach, Teil des ‚alten‘ Systems. Die Welt, die wir sehen wollen, ist divers und nicht uniform. Wie sollte der Weg dorthin dann ein einförmiger sein? Deswegen war es mir auch wichtig, in dieser Broschüre nicht den einen ‚richtigen‘ Weg vorzustellen, sondern verschiedene Menschen mit verschiedenen Hintergründen zu Wort kommen zu lassen und damit zum gemeinsamen Nachdenken anzuregen.

Ein positives Beispiel für das Zusammenspiel unterschiedlicher Herangehensweisen ist z.B. der Kampf gegen die Erweiterung des Kohletagebaus und für den Erhalt des Hambacher Forsts in Deutschland: Im Herbst 2018 sollte der verbliebene Wald abgeholzt werden und damit auch die langjährigen Baumbesetzungen verschwinden. Als im September 2018 die Räumungsarbeiten beginnen sollten, formierte sich ein breiter Widerstand. Verschiedenste Akteur:innen agierten gemeinsam: von christlichen Kirchenvertreter:innen über NGOs wie Greenpeace und dem BUND bis hin zu der lokalen Bevölkerung und den meist anarchistisch geprägten Waldbesetzer:innen. Natürlich ist dabei auch nicht immer alles rund gelaufen. Menschen, die dort aktiv waren, berichten bspw.

über Konflikte in Bezug auf verschiedene Organisierungsformen und persönliche Differenzen. Trotzdem haben Gruppen und Einzelpersonen solange an verschiedenen Ecken geknabbert, bis der Widerstand zumindest einen Teilerfolg erzielte: Anfang Oktober 2018 wurde ein vorläufiger Rodungsstopp erwirkt. Heute gilt der Kampf um den Hambacher Forst als Symbol der Klimagerechtigkeitsbewegung im europäischen Raum und inspiriert weiterhin viele Menschen dazu, bunten und kreativen Widerstand zu leisten.

Aber: Heißt das jetzt, dass wir uns keine Gedanken über unsere Theory of Change in den jeweiligen Polit-Gruppen machen müssen? Nein! Ich bin davon überzeugt, dass es gerade in politisch aktiven Gruppen wichtig ist, sich über die Glaubenssätze zu unterhalten, die dem gemeinsamen Handeln und Entscheiden zugrunde liegen. Wir müssen reflektieren, warum wir Dinge tun oder nicht tun. Dinge einfach weiter zu tun, weil es bequem ist und es halt immer schon so war, ist meist eine schlechte Idee. Denn diese Vorgehensweise lässt keinen Raum für Weiterentwicklung zu und zementiert damit bestehende Machtstrukturen.

Ist darum Kritik an der Herangehensweise anderer Gruppen fehl am Platz? Jein. Andere Gruppen von der eigenen Theory of Change zu überzeugen führt normalerweise zu wenig. Außerdem verlieren Gruppen dabei viel Energie, die im Außen gebraucht wird. Ideologische Debatten, die gerade in linksradikalen Gruppen gerne und ausdauernd geführt werden, sind in meinen Augen zwar spannend, aber haben oft eher theoretische Relevanz und sind damit nicht unbedingt zielführend. Teilweise werden Ideologiedebatten – gerade von weißen cis-Männern – auch als Form der Dominanz missbraucht (so wie: „Wenn du Marx noch nicht gelesen hast, hast du gar nichts verstanden“) und schließen damit viele Menschen aus.

Die Schwierigkeiten, die es aber auf jeden Fall auszutragen gilt, beginnen an dem Punkt, an welchem das Handeln einer Gruppe das Handeln einer anderen beschränkt. Wo dieser Punkt genau liegt, ist oft Interpretations- und Diskussionssache und sicher nicht immer leicht herauszufinden. Diesen Punkt zu identifizieren ist aber ein sehr wichtiger Prozess, wenn Gruppen mit- und nicht gegeneinander arbeiten wollen.

Ein weiteres Fazit, das ich aus meiner bisherigen Arbeit ziehe: Es braucht ein vielfältiges Spektrum an Aktivist:innen, ein Mosaik aus vielen Ansätzen, um besonders schlagkräftig zu sein. Vielfalt ist die Stärke jeder Bewegung. Sie macht uns resilienter, denn je diverser unsere Hintergründe sind, desto diverser sind unsere Ideen und Lösungsansätze. Es braucht die Menschen, die im bürgerlichen Milieu anknüpfen. Die Menschen, die unsere

vielleicht nicht so politisch wirkenden Nachbar:innen und (Groß-)Eltern bei einem gemütlichen Kaffee treffen und mit ihnen über Klimagerechtigkeit sprechen. Genauso braucht es auch die radikalen und militanten Menschen, die ihr Leben ganz dem Aktivismus verschrieben haben – mit all seinen Konsequenzen. In meiner Wahrnehmung gibt es gerade an den Rändern dieses Wandelmosaiks zur Zeit Leerstellen. Es fehlen Gruppen, die nicht nur radikal und militant in ihrem Denken, sondern auch in ihrer Sprache und ihren Aktionsformen sind. Und es fehlen Gruppen, die außerhalb der Klimagerechtigkeitskreise den Anschluss an andere Teile der Gesellschaft halten.

Ich glaube, dass es mehr Mut braucht, um Dinge neu zu denken und neue Ansätze auszuprobieren. Dabei braucht es eine Balance zwischen Strategiediskussionen und wirklichem Tun. Denn: Wenn wir jahrelang diskutieren, haben sich bereits die äußeren Gegebenheiten so weit verändert, dass wir wieder von vorne anfangen müssen. Ab und zu müssen wir auch mal den Mut haben, ins kalte Wasser zu springen und Dinge – wie neue Aktionsformen und Zusammenarbeiten – auszuprobieren, die wir noch nicht bis ins letzte Detail durchdacht und erprobt haben. Aber das ist auch nur meine Meinung und basiert damit auf meiner persönlichen Theory of Change, die nur eine von vielen ist.

Und so schreiten wir weiter fragend voran* auf vielen Wegen – hoffentlich in eine bessere und gerechtere Welt.