Über das Projekt

Die europäische Klima(gerechtigkeits)bewegung wächst, wird diverser und stärker. Welche unterschiedlichen Herangehensweisen und Strategien gibt es in der Bewegung? Was können verschiedene Gruppen voneinander lernen? Wo liegen Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede? In welchen Bereichen können wir gut zusammenarbeiten und in welchen nicht? Gibt es ein Grundrezept für sozialen Wandel?

Wie oft haben sich Menschen diese Fragen wohl schon gestellt? Frustriert von meiner Lohnarbeit bei einer großen Umweltorganisation machte ich mich auf die Suche nach Antworten. Denn was ich in dieser NGO tat (oder tun sollte) schien einer Logik zu folgen, die nicht meine war.

Wie viele Plena, wie viele Streitgespräche habe ich seitdem mit der Frage nach der richtigen Strategie verbracht, mit der Suche nach dem einen Hebelpunkt, der alles verändert? Der eine oder andere Mensch, mit dem ich diskutierte, schien für sich die ‚eine Wahrheit‘ bereits gefunden zu haben, andere waren (noch) auf der Suche.

Was zunächst eine Doktorarbeit werden sollte, wurde schließlich diese Broschüre. Warum? Ich bin einerseits überzeugt davon, dass es politisch aktiven Menschen hilft, sich über die Glaubenssätze und Wertesysteme hinter ihren Herangehensweisen Gedanken zu machen. Andererseits wollte ich einen Text schreiben, für den mensch nicht studiert haben muss, sondern der möglichst leicht verständlich und zugänglich ist. Das Hauptziel der Broschüre ist es dabei, die Stimmen und Meinungen von politisch aktiven Menschen zusammenzubringen, die normalerweise nicht aufeinandertreffen würden.

Widmung

Dass diese Broschüre entstanden ist, verdanke ich vor allem meiner langjährigen Freundin Carla. Sie bestärkte mich in dem Gedanken, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Theory of Change für viele Menschen wertvoll sein könnte. So zog ich 2019 los und befragte verschiedene Aktivist:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung zu ihren Polit-Gruppen, deren Herangehensweisen und den damit verbundenen Glaubenssätzen. Dass die Arbeit an dieser Broschüre dann so lange brauchte, hat auch viel mit Carla zu tun: Nach langer Leidensgeschichte konnte sie dem Druck von Überlastung und Konflikten in ihrem aktivistischen sowie persönlichen Umfeld nicht mehr standhalten und suizidierte sich im Frühjahr 2020*. Zusammen mit der Coronapandemie war dies so überfordernd für mich, dass es lange nicht möglich war, an dieser Broschüre weiterzuarbeiten.

Carla, das ist für dich. Rest in power and hopefully finally also in a bit of peace.

Zu Beginn der Broschüre gibt es einen kleinen Theorieteil. In diesem wird die Bedeutung und die Herkunft des Konzepts Theory of Change dargestellt. Außerdem werden die Begriffe Strategie und Taktik, die meist sehr verschieden und manchmal auch synonym benutzt werden, definiert. Auf den allgemeinen Theorieteil zu Theories of Change folgt ein Kapitel zum Thema Macht. Nach einer kurzen Definition von Macht werden verschiedene Formen der Macht und Machtausübung sowie Ansatzpunkte, um sie innerhalb der Gesellschaft zu verschieben und zu verändern, präsentiert. Beide Theoriekapitel sollen als erster Versuch verstanden werden, das Thema Theory of Change bzw. Macht in diesem Zusammenhang systematisch darzustellen. Sie erheben dabei aber keinen

Anspruch auf Vollständigkeit. Den Hauptteil dieser Broschüre machen Interviews mit Aktivist:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung aus. Zum Verständnis der Interviews ist der Theorieteil zwar sehr hilfreich, aber nicht zwingend notwendig.

Am Anfang jedes Interviews ist ein kurzer Hintergrundtext zur Gruppe der jeweiligen Person angefügt. Außerdem findet ihr am Ende jedes Interviews Fragen zur Auseinandersetzung und Reflexion. Die Interviews wurden so wenig wie möglich bearbeitet, um einen möglichst unverfälschten Eindruck über die Ansichten der jeweiligen Person zu geben. Die Idee hinter den hier versammelten Interviews ist, dass Menschen sie alleine lesen, nach der eigenen Reflexion in ihren Polit-Gruppen besprechen und die Inhalte zusammen weiterdenken. Sie eignen sich aber auch, um sie als persönliche Reflexion zu betrachten oder um bei der Neugründung von Polit-Gruppen zu inspirieren.

Besonders im Vorwort und Fazit sowie teilweise im Kapitel über Macht bringe ich meine persönlichen Meinungen und Schlüsse ein. Diese Texte – sowie die gesamte Gestaltung der Broschüre – sind durch meine Sozialisierung als weiße cis-Frau aus akademischem Haushalt der oberen Mittelschicht geprägt. Ich habe Diskrimierung aufgrund von Ableismus – genauer gesagt aufgrund meiner psychischen Gesundheit –, meinem Gender und meiner sexuellen Identität erfahren. Trotzdem ist mir bewusst, dass ich diese Texte global betrachtet aus einer privilegierten Perspektive schreibe. Damit hat diese Broschüre nicht nur einige Leerstellen, sondern reproduziert auch einige problematische Dynamiken – besonders in Bezug darauf, welche Personen ich in den Interviews zu Wort kommen lasse und welche nicht. Meine Analyse und Reflexion dazu finden sich im letzten Kapitel.

Seit ungefähr sechs Jahren bin ich in der österreichischen und deutschen Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv, welche den Klimaschutz mit einer Perspektive der sozialen und globalen Gerechtigkeit verknüpft. Einige Jahre habe ich mich auch in der europäischen Zusammenarbeit und Vernetzung engagiert. Viele der Schlüsse, die ich in dieser Broschüre ziehe, kommen aus meinen Erfahrungen von über zehn Jahren Arbeit in der Klimabewegung, während derer ich in verschiedenen Gruppen aktiv war, sowie aus Gesprächen und Diskussionen mit anderen Aktivist:innen. Mir ist bewusst, dass meine Erfahrungen nur einen kleinen Ausschnitt von alldem beinhalten, was die deutschsprachige bzw. europäische Klimagerechtigkeitsszene ist und denkt.