Ein Ort der Klimagerechtigkeitsbewegung
Das Klimacamp bei Wien entstand aus der Gruppe System Change not Climate Change. Klimacamps sind ein bewährtes Format der Klimagerechtigkeitsbewegung und mittlerweile in ganz Europa zu finden. Sie sind ein Ort der Vernetzung und Bildung sowie ein Ort, an dem Alternativen zur aktuellen kapitalistischen Gesellschaft ausprobiert werden können. Außerdem sind sie die Basis für direkte Aktionen und zivilen Ungehorsam.
Das erste Klimacamp bei Wien im Jahr 2016 zentrierte sich rund um den Widerstand gegen die dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat. Bei den letzten Klimacamps ging es verstärkt um das Thema der Automobilität. Die Größe des Klimacamp-Teams schwankt zwischen 20 und 50 Menschen und konstituiert sich sowie seine Themenschwerpunkte jedes Jahr neu.
Das Interview ist im Sommer 2019 auf dem Klimacamp Leipzig geführt worden.

Was sind Klimacamps und warum gibt es sie?
Klimacamps haben vier Säulen: Vernetzung, direkte Aktion, Utopien leben und Bildung. Klimacamps werden oft als „Herzstück der Klimagerechtigkeitsbewegung“ bezeichnet. Ich hab mit dem Begriff irgendwie ein Problem, mir fällt aber gerade auch kein besserer ein. Sie sind auf jeden Fall ein zentraler Teil der Klimabewegung, weil sie ein Ort sind, an dem Menschen wirklich physisch zusammenkommen können. Und mehr über die Gründe lernen können, warum sie aktivistisch unterwegs sind, wie sie ihren Aktivismus betreiben können, sodass er effizient ist und nachhaltig für jeden Einzelnen. Es ist ein Ort, an dem Vernetzung geschieht mit anderen Menschen, was ich unglaublich wichtig finde.
Und es sind Orte, in deren Rahmen Aktionen stattfinden, wodurch sie auch was sehr Ermächtigendes haben. Klimacamps sind in diesem Zusammenhang ganz wichtig, weil sie einen niederschwelligeren Einstieg bieten als z.B. direkt zu Ende Gelände zu fahren. Ein Klimacamp ist eine offene Einladung, du musst da nicht in eine Aktion gehen. Das Camp gibt dir eine Woche, in der du ausprobieren und lernen kannst.
Und auch ganz wichtig: Die dritte Säule – Utopien leben. Einen Ort zu schaffen, wo bestimmte Gesellschaftsentwürfe schon mal ausprobiert werden. Menschen gucken, was im Status Quo schon funktioniert, aber auch, wo dort Grenzen sind. Also z.B. hätten wir alle gerne hierarchiefreie Klimacamps, aber du brauchst einen gewissen Organisationsgrad, weil einfach ein Haufen an Leuten kommt und die sollen alle mit anpacken. Da hast du einen Schichtplan, eine Person, die das vorbereitet und anleitet. Das ist jetzt nicht gerade ein anarchistisches Prinzip.
Und ich glaube, dass Klimacamps so wichtig sind, weil es für Menschen, die schon in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv sind, ein guter Ort ist, um zu sehen, dass sie nicht allein sind. Es ist wichtig zu sehen, dass es ganz viele Menschen gibt, die an den gleichen Themen arbeiten. Informeller Austausch, also nicht so im Networking-Sinne, sondern so, dass jeder ein bisschen schaut, was so bei anderen Gruppen passiert, ist so wertvoll. Davon kann man viel lernen.
Bei Klimacamps kann mensch die Thematik einfach nochmal einer breiteren Masse zugänglich machen. Und wir können zeigen: Okay, wir sind hier, das ist unser Anliegen und wir können auch eine Alternative bieten. Ich glaub, das ist sowas Wichtiges. Zu zeigen, man kann Gesellschaft auch anders organisieren. Und was für 500 Leute geht ist ja schon mal was. Das ist ja eine riesige Gruppe. Für mich ist auch ein wichtiger Teil: Aktionen und Aktionsvorbereitung. Ich finde das zentral. Ein Fokus auf aktionistische Strategien – auch für Leute, die sich fragen, was will ich und welche Art des politischen Handelns passt zu mir. Was heißt es zu sagen: „Ich hab einen aktivistischeren Standpunkt“, und warum hab ich den vielleicht?
Sind die vier Säulen gleichberechtigt?
Für viele Menschen wäre es ideal, wenn es gleichberechtigt ist. Also die Idee von vier Säulen ist ja, dass sie was tragen. In meinen Kopf kommt dann ein Bild von antiken Gebäuden, so eine Akropolis, die hat vier Säulen und darauf steht sie.
Für mich persönlich: Ich finde den Utopien leben-Aspekt wichtig in der Organisationsform des Klimacamps. Da sehr. Aber ich seh das Camp eher als einen politischen Akt und ich seh Lebensweisen nur in dem Maße politisch, als dass sie kollektiviert sind. Ich finde individuelle Lebensentscheidungen – wie vegan essen – sind kein politischer Akt per se. Sie können Teil einer politischen Lebensführung sein. Und deswegen ist der Teil Utopien leben, der sich sehr auf sich selbst bezieht und auf eigene Verhaltensformen, die man ändert, mir persönlich nicht so wichtig wie andere Teile, weil ich ihn einfach nicht als politischen Akt begreife.
Wie trefft ihr im Klimacamp Entscheidungen?
Ganz am Anfang gab es ein sogenanntes Prozessteam. Das hat ganz wesentlich dazu beigetragen, wie der Organisationsablauf war und wie Entscheidungen getroffen wurden. Z.B. gab es schon Vorschläge, wie man Entscheidungen treffen kann. Es war immer klar, das ist alles nicht in Stein gemeißelt. Aber es war schon ein Vorschlag, der so erstmal zur Disposition stand. Man hätte, glaube ich, wenn man eine andere Idee gehabt hätte, diese Idee einbringen können. Ich hatte nicht das Gefühl, dass das nicht geht. Aber ich hatte jetzt auch keinen besseren Vorschlag und ich hatte auch das Gefühl, dass der soweit ausgearbeitet ist, dass es durchaus Sinn ergibt, den so anzunehmen.
Es gibt neben dem Prozessteam noch drei Bereiche – Content, Hardware und Software. In jedem der drei Bereiche gibt es wieder ein Prozessteam. Die Prozessteams in den Bereichen plus das Prozessteam für das ganze Klimacamp bilden den inneren Kern oder auch iKern. Wir arbeiten konsentbasiert [Anm. bei Konsent-Entscheidungen verhindern nur schwere Einwände eine Entscheidung, leichte Bedenken werden nur zur Kenntnis genommen]. Das wurde auf dem ersten Teamwochenende entschieden. Sich selber eine Entscheidungsfindung geben ist halt immer ein bisschen ein Paradoxon. Aber ich find, wir haben das eigentlich ganz gut gehandhabt. Wir haben halt einfach einen Vorschlag gemacht, wie wir uns im inneren Kern Entscheidungsfindung vorstellen, und warum wir sie gerne so hätten, wie wir sie vorschlagen. Wir haben ein Konsentprinzip vorgeschlagen, weil wir gerne eine Entscheidungsform haben, die nicht mehrheitsbasiert ist, sondern konsentbasiert ist. Ich finde es wichtig, dass alle Menschen in dieser Gruppe mit Entscheidungen mitgehen können. Es müssen nicht alle alle Entscheidungen lieben. Das ist, glaube ich, auch ein wichtiger Lernprozess, wenn es um konsentbasiertes Arbeiten geht. Du musst mit Entscheidungen mitgehen können und ich finde, das ist ein großer Unterschied. Die Entscheidungsstruktur ist im Laufe der Zeit ein bisschen angepasst worden. Nicht der Entscheidungsprozess selbst, sondern der Diskussionsprozess dazu. So ist, würde ich sagen, die Organisations- und Entscheidungsstruktur.
Welche Themen werden wie und wann besprochen? Gibt es eine Schwerpunktsetzung?
Die vier Säulen waren ziemlich gesetzt von Anfang an und wurden auch nicht in Frage gestellt. Das ist immer so ein bisschen die Frage, warum das passiert. Ich glaub, für einen Großteil war’s, dass diese vier Säulen relativ üblich sind. Das ist was, das findest du auf den meisten Klimacamps. Das hängt hier – am Leipziger Klimacamp – auch im Zelt aus. Diese vier Säulen, auf die sich die Klimacamps häufig berufen. Die sind ja auch recht vage. Was genau deine Utopie ist, die du da lebst oder was jetzt hier die direkte Aktion ist, kannst du ja sehr unterschiedlich bewerten. Z.B. hier in Leipzig würde ich sagen steht die direkte Aktion gar nicht im Vordergrund. Das hat am Camp ganz wenig Sichtbarkeit. Das war bei uns in Wien ganz anders.
Und ich glaub, dass es nicht in Frage gestellt wurde, kam zum einen daher, dass die Menschen schon in der Klimabewegung sozialisiert waren. Also für mich war das jedenfalls so, dass ich mir gedacht hab: „Joa, alles wie immer“, und für viele Menschen war es ihr Politisierungsprozess und damit eine ganz andere Ausgangslage, mit der man an so Vorschläge ran geht. Und ich glaub, die wurden dann z.B. nicht hinterfragt, weil man dachte: „Okay, da ist ein Prozessteam, die haben mehr Erfahrung, passt.“ Genau, ich hatte nicht das Gefühl, dass es um die Säulen per se einen großen Prozess gab, die auszuhandeln oder so. Das war eher schon so, das wurde bei den How to Klimacamp-Workshops vorgestellt, die vier Säulen des Klimacamps. Finde ich nicht so verkehrt. Das fand ich schon passend. Die Entscheidung, was wie viel Gewicht kriegt, das ist eigentlich ganz spannend, weil wir darüber keinen so richtigen Diskurs gehabt haben.
Ich war ja formell nicht in einer AG; damit, dass ich im iKern war, hatte ich ja eigentlich eher eine koordinierende Aufgabe und am Ende auch eher eine prozessorientierte Aufgabe. Was in Ordnung ist, ich hab mir das ja ausgesucht. Aber dadurch hatte ich z.B. nicht so viel Einfluss aufs Workshopprogramm. Und ich hab das Gefühl, dass so… Es gab so zwei Momente: Es gab eigentlich einen Moment am ersten/zweiten Teamwochenende, wo eigentlich schon ein klarer Fokus gelegt werden sollte, als das Anti-Rassismus Grätzel [Anm. Grätzel sind eine Art Stadtteil im Klimacamp, das externe Gruppen selbst gestalten können] entstanden ist. Es gab von Seiten des iKerns und des Prozessteams ganz am Anfang mal eine Diskussion und daraus entstand das Anliegen, das anti-rassistische und queer-feministische Themen stärker in den Fokus zieht. Aus der Erfahrung der letzten Jahre von den letzten Klimacamps. Damit gab’s dann auf dem zweiten Klimacamp-Teamwochenende eine starke Auseinandersetzung, wo dann auch gesagt wurde: „Okay, wir brauchen einen Ort, um […] diverser zu werden, weil wir einfach weiß, hetero und gebildet sind.“ Und da war ein Moment da, wo ich gesagt hätte, da haben wir eigentlich eine Entscheidung getroffen, wo ein Fokus liegen soll. Es gab dann auch eine Diversity AG dazu und den sexy Titel Vielfalt. Macht. Gerechtigkeit, den ich immer noch gut finde. Und dann ist das aber relativ versackt und das ist eine der Sachen, die ich sehr schade finde am Prozess, weil eigentlich hatten wir voll das gute Potential dieses Jahr, da wirklich ein bisschen was zu reißen in die Richtung. Und dann lag’s da glaube ich ein bisschen an den Menschen, die sich in dieser AG eingefunden haben. Also ich mein, den Schuh kann ich mir dann umgekehrt auch selber anziehen und ich hab’s halt nicht gemacht. Also ich find, das ist einfach ein Lernprozess. Und da hab ich halt auch so ein bisschen gesehen, okay – eine AG lebt halt von den Leuten, die sie bespielen. Und da war das in meinen Augen ein bisschen schwieriger mit den Menschen, die da drinnen waren, und am Ende kam dann nochmal eine Person dazu, die war extrem motiviert und engagiert und die hatte auch ein bisschen Vorwissen. Hatte dann aber auch einen wahnsinnig schweren Job, weil das halt dann fast nur ihrer war und zweitens ganz viel im Prozess schon fortgeschritten war.
Und ansonsten. Naja, es gibt natürlich einen Schwerpunkt durch die Aktion. Das wurde auch im Prozess eingearbeitet. Allerdings war die Aktions AG aus richtigen Gründen nicht offen.
Und was es vielleicht auch noch gab oder eben nicht gab: Also wir hatten keinen Großgruppenprozess gehabt über die Workshopaufteilung. Und da, finde ich, könnte man schon nochmal sagen: „Welchen Fokus legen wir da? Auf welche der Säulen legen wir ihn? Aber auch: Wollen wir einen thematischen Fokus?“ Also ich fand’s hier in Leipzig richtig cool, dass es gestern einfach einen queer-fem Tag gab. Es gab tolle Workshops und da ist richtig viel passiert. Da hat man einem Thema auch einfach mal Sichtbarkeit gegeben. Und hier gab es auch ein Anti-Rar Podium. Ich glaub, es war einigen Menschen hart unangenehm da drin zu sitzen. Aber das war richtig gut. Sowas haben wir glaube ich nicht so durchgezogen. Aber die Ansätze waren da.
Wie evaluiert und reflektiert ihr eure Prozesse?
Eigentlich hatten wir einen richtig fetten Evaluationsprozess. Wir hatten eigentlich nach jedem Teamwochenende eh eine Evaluierung. Aber die war eher prozessbezogen, wenn ich mich recht entsinne, aber nicht inhaltlich oder so. Ich glaube, es wäre auf jeden Fall Raum gewesen für Feedback, wenn was auf einer inhaltlichen Ebene aufgekommen wäre. Da war auf jeden Fall Platz für. Und dann Evaluierung des Gesamtcamps – ist auf dem letzten Teamwochenende passiert. Da war ich nicht da, deswegen bin ich da eine sehr schlechte Ansprechpartnerin. Da gab es auf jeden Fall viel Raum für Evaluation und ich hab gehört, dass das sehr fruchtbar war. Wir haben auch relativ schnell eine Reflexionsphase angestoßen, was glaube ich cool war. Ich merk gerade, ich hätte jetzt keine Energie, mich darum zu kümmern – gerade bei der Diversitätsfrage, die mich ja dann doch sehr umgetrieben hat, haben wir uns gleich danach nochmal getroffen und haben geguckt, was ist gut gelaufen, was ist schlecht gelaufen und da dann auch schon mal einen Vorschlag erarbeitet fürs nächste Camp, was ich voll gut finde. Also es gab eigentlich recht viel Raum für Evaluierung und ich hab auch das Gefühl, dass das ein Prozess ist, der ganz gut läuft. Es wurden dann auch nochmal Formulare mit Evaluierungsfragen rumgeschickt. Es gibt einen sehr bewussten Evaluationsprozess und dadurch, dass wir dieses Jahr auch nicht so eine krasse Fluktuation haben werden wie letztes Mal, hab ich das Gefühl, dass das auch ganz gut läuft. Da bringen sich jetzt einfach Menschen ein, die dafür Energie haben. Vielleicht auch Menschen, die sich vorstellen können, nächstes Jahr den Gesamtprozess zu gestalten.
Wie ist die Balance zwischen nach innen und nach außen wirken? Welchen Stellenwert hat Politisierung?
Es ist, glaube ich, relativ einfach, ein Klimacamp zu besuchen und es als Festival wahrzunehmen und das stört mich schon. Auf der anderen Seite ist es mir vielleicht doch lieber, die Leute kommen und nehmen es als Festival wahr und nehmen noch ein bisschen was mit, als sie kommen nicht. Das ist ein Spannungsfeld, wo ich einfach nicht so eine richtige Antwort habe. Ich finde schon, dass der Prozess ein Politisierungsrahmen sein darf. Aber ich glaube, man muss sich bewusst darüber sein, wie viel man da als Gruppe leisten kann. Also ich war z.B. nicht darauf vorbereitet, dass so viel Politisierungsarbeit auf mich zukommt. Also nicht nur auf mich, sondern auch auf uns als Team und ich bereue das nicht, aber ich fand es schon sehr fordernd. Und ich glaube, wenn uns das klar gewesen wäre, dass das auf uns zukommt, hätten wir manche Sachen anders gelöst. Also ich fand es jetzt total cool, dass eine Person sich einfach ein internes Weiterbildungsprogramm überlegt hat. Da müssen ein paar Sachen verhandelt werden. Nicht innerhalb von einem Plenum, sondern es muss Workshops geben zu den ganz basic Fragen. Damit man die auch gemeinsam fruchtbar bearbeiten kann.
Z.B.: Was ist dein Politikbegriff? Was ist Politik? Das Klimacamp ist ein hochpolitischer Ort. Wir haben aber keine Parteien. Also dass Politik nicht Parteipolitik ist, ist für mich ein alter Hut – aber für andere Leute ist das kein so klares Ding. Und das ist mir wichtig. Wenn ich alleine entscheiden könnte, und man das alles vorher wüsste, würde ich gerne einen effektiven Weg finden, diese Politisierung innerhalb des Teams mehr zu leiten. Und die Räume dafür zu schaffen, sodass sie genutzt werden können und nicht irgendwie an den Rand gedrängt werden. Würde aber auch im Rückblick nochmal überlegen, bis wann wir das machen wollen. Ob man das so macht, dass ein Team wächst bis März, bis Februar, aber danach nicht mehr.
Also ich hab das Gefühl, als es dann am Ende nochmal einen Schwall gab mit nochmal mehr Menschen, dass da eine Integrationsförderung nötig gewesen wäre, aber es dann auch einfach ein Camp gab, das zu organisieren war und das hat der Gruppe einige Herausforderungen beschert. Ich weiß nicht, ob ich das nochmal so machen würde. Für den nächsten Prozess würde ich das nochmal überlegen. Und generell find ich trotzdem, dass der Klimacamp-Orga-Prozess ein guter Politisierungsraum ist, schon allein weil es einfach eine offene Gruppe ist. Viele radikale Räume sind geschlossene Gruppen und das hier nicht und dafür ist es auch cool und ich hab auch wahnsinnig viel gelernt. Ich glaube, jeder hat wahnsinnig viel gelernt in diesem Prozess. Ich hab auf einer anderen Ebene gelernt als ich erwartet hatte. Ich glaub, das ist mein take away.
Ich kann nicht sagen, was ich wichtiger finde. Mir ist schon wichtig, dass klar ist, dass Klimacamps keine Hippie-Veranstaltung sind, wo alle Leute irgendwie Utopie leben und dann wieder gehen. Also das ist das Ding: Utopien leben ist ein Teil, aber wenn es bei Utopien leben bleibt, ist es halt apolitisch. Ich kann mir natürlich eine Parallelgesellschaft schaffen, aber dann kann ich auf meinen Aussteigerhof gehen und das ist dann halt das Ende der Geschichte. Und das ist Anpassen an den Kapitalismus, aber damit werden wir ihn nicht los. Und das ist auch, warum ich das so wichtig finde, dass man den politischen Aspekt mit bedenkt. Weil es halt nicht Ferien von einem Scheiß-System sein soll, sondern es soll zeigen, das es zu diesem Scheiß-System Alternativen gibt. Und dass es eben nicht ist: Wir machen es uns bequem, weil wir uns leisten können auszusteigen. Das ist ein Privileg, das zu können. Sondern wir zeigen, dass man anders leben kann und dass es aber auch ein gesellschaftlicher Prozess ist. Nicht der von einer kleinen privilegierten Gruppe, die sich halt eine Woche Zeit nimmt.
Mit welchen Gruppen kooperiert ihr?
Eine offensichtliche Kooperation ist System Change not Climate Change, denn da kommen wir her. Es ist so eine enge institutionelle Verzahnung, weil da auch einfach viel Nähe ist im Inhaltlichen und es personelle Überschneidungen gibt. So – das ist, glaube ich, echt offensichtlich.
Wen haben wir noch so als Kooperationspartner? Also natürlich Menschen, von denen wir Geld bekommen. Aber von denen bekommen wir eigentlich auch nur Geld, die seh ich jetzt nicht als Kooperationspartner. Wir nehmen ja auch kein Geld von jemandem, der uns inhaltlich reinreden will.
Es gibt dann natürlich Gruppen mit denen wir kooperieren für den Aktionstag. Weil der Aktionstag von Gruppen realisiert wird, die wir einladen aufs Camp. Das finde ich sehr gut, weil erstens eine Camp-Orga nicht auch einen Aktionstag organisieren kann. Das ist einfach too much. Und weil es zweitens einfach auch noch die Möglichkeit ist, Gruppen bekannter zu machen und was sie so tun. Und dieses Jahr war das halt Ende Geländewagen aus München. Die Kronen Zeitung hat geschrieben „die deutsch-österreichische Kooperation“. Weiß nicht, fand ich jetzt gar nicht so verkehrt. Die Kronen Zeitung schreibt mal etwas, was Sinn ergibt.
Und Gruppen mit denen wir nicht tun. Das ist natürlich eine interessante Frage. Also ich glaube, es gibt Gruppen mit denen kann man schwerer zusammenarbeiten. Das war jetzt in Bezug auf den Aktionstag z.B. Extinction Rebellion und Fridays for Future. Mit Extinction Rebellion hat es trotzdem funktioniert. Also die waren beim Aktionstag mit dabei und haben ihre Aktion gemacht. Und die auch vorgestellt abends am Plenum am Tag vor dem Aktionstag und dazu eingeladen. Dadurch hatten wir, glaube ich, ganz gute verschiedene Angebote an Aktionsformen, die Menschen wahrnehmen konnten. Auch niederschwelligere und höherschwellige Aktionen. Da hätte ich mir gewünscht, dass es ein bisschen klareres Commitment von beiden Seiten gibt, dass diese Aktionen zusammengehen und nicht so eine Gruppe für ihre Aktion sehr wirbt und dass es so ein bisschen den Anschein hat, als wäre es eine Pressekonferenz. Aber das ist eine Frage des: „Wie tun verschiedene Aktionsformationen miteinander“. War, glaube ich, trotzdem gut, das so zu machen.
Ja, aber bei Fridays for Future z.B. hat sich gezeigt, es ist wahnsinnig schwierig mit denen zu kooperieren, weil die im Moment so ihr starkes Moment haben und dann stimmen die sich halt mit anderen Fridays for Future-Gruppen ab, aber nicht unbedingt mit radikaleren Gruppen innerhalb ihrer Stadt. Das finde ich mega schade, weil diese Blockade wäre halt 300 Mal erfolgreicher gewesen, hätten 10.000 Schüler:innen an dem Moment am Ring gestanden und man hätte das halt machen können. Und sowas frustriert mich, weil ich denke, da könnte die Bewegung viel stärker sein. Und es wäre auch einfach ein geiler Move gewesen. Also so ein „Sorry, hier ist gerade die Groß-Demo, wir kommen nicht durch“ – wie geil wäre es gewesen. Und das wäre halt einfach möglich. Der Ring ist der Ort, wo gegangen wird. Dazu hätte FFF [Fridays for Future] einen Beitrag leisten können. Das wäre jetzt kein Grund nicht mehr mit denen zu kooperieren.
So, mit wem kooperieren wir nicht? Also offensichtlich jetzt z.B nicht mit irgendwelchen Öko-Faschos oder den Identitären, das ist relativ einfach. Und ansonsten weiß ich nicht genau, wo Kooperationen schon mal angestrebt wurden und nicht geklappt haben. Ich glaube, es würde der Klimabewegung in Österreich nicht schaden, ein besseres Verhältnis zu autonomeren Gruppen zu haben. Und ich hab das Gefühl, das ist nicht so. Aber ich bin nicht tief genug drin, um zu wissen warum. Also ich hab so eine Idee – dass die Klimabewegung halt bürgerlich wirkt und dass nicht immer klar ist, dass wir durchaus die Systemfrage stellen. Oder der radikalere Teil der Klimabewegung auf jeden Fall die Systemfrage stellt. Und ich hab das Gefühl, das macht es sehr schwierig zusammenzuarbeiten, aber ich hab schon den Eindruck, dass es das bräuchte. Einfach gerade bei ungehorsamen Aktionen effektiver zu sein und auch, um einfach zu zeigen: Klimagerechtigkeit ist nicht nur Klimawandel aufhalten, Klimagerechtigkeit will ein gerechtes System innerhalb eines Planeten mit einem gewandelten Klima. Das ist was anderes. Und es gibt ja auch Students for Climate Action an der WU [Wirtschaftsuniversität Wien], die sind nicht Students for Climate Justice und das ist ein riesiger Unterschied. Und nur Eindämmung von Klimawandel ist halt nicht, was die Klimagerechtigkeitsbewegung will. Und da würde halt auch so ein klares Commitment zu linksradikalen Strukturen halt auch noch mal zeigen, wo wir uns verorten.
Fragen zur Einordnung des Klimacamps bei Wien:
- Wie würdest du das Verständnis von gesellschaftlicher Machtverteilung der hier interviewten Person beschreiben?
- Was würdest du als die Hauptstrategie des Klimacamps beschreiben? Was als die Haupttaktik?
- Wie würdest du die Unterschiede zwischen politischem Akt, alternativen Lebensweisen und Utopien leben beschreiben?
- Wie würdest du das Verhältnis zwischen Klimacamp und Aktionstag beschreiben?
Fragen zum Weiterdenken in deiner Gruppe:
- Mit welchen der vier Säulen könnt ihr euch am ehesten identifizieren? Gibt es solche Säulen auch in eurer politischen Arbeit?
- Wo leistet ihr in eurer Gruppe Politisierungsarbeit? Ist das explizit so besprochen?
- Wo würdet ihr euch in dem Diskurs zu individueller Lebensweise vs. kollektivem, politischem Akt verorten? Ist die Haltung dazu einheitlich in eurer Gruppe?
- Stimmt ihr der Einschätzung zu, dass Klimacamps den Einstieg in zivilen Ungehorsam niederschwelliger machen?