Kohle erSetzen!

Eine niedrigschwellige Aktion zivilen Ungehorsams für Klimagerechtigkeit

Die Kampagne Kohle erSetzen! wurde von JunepA (Junges Netzwerk für politische Aktionen) und Einzelpersonen initiiert. JunepA existiert seit 2013 und organisiert seither Aktionen des zivilen Ungehorsams in Deutschland. Themenschwerpunkte sind Klimagerechtigkeit, Antimilitarisierung, Atomkraft- und Kapitalismuskritik.

Kohle erSetzen! stellt sich gegen den Abbau und die Verstromung von Braunkohle. Ihre erste Aktion in Form einer Sitzblockade fand 2017 statt. Dabei blockierten sie Zufahrtsstraßen des Kraftwerks Neurath im Rheinischen Braunkohlerevier. Weitere Aktionen fanden 2018 im Leipziger Land sowie 2019 und 2020 wieder im Rheinland statt.

Das Interview wurde vor der Aktion 2019 auf dem Klimacamp Rheinland geführt.


Was ist Kohle erSetzen!?

Wir sind ein Aktionsbündnis. Wir planen Aktionen des zivilen Ungehorsams. Unser Charakteristikum ist, dass die Aktionen niedrigschwellig sind. So können Menschen, die noch keine Erfahrung haben, genauso in Aktion gehen wie Blockadeprofis, die schon in unzählig vielen Aktionen dabei waren. Uns ist wichtig, dass wir eine buntes Aktionsbild haben. Deswegen probieren wir kreative Protestformen aus. Das klassische Bild von Kohle erSetzen! ist die Sitzblockade. Mittlerweile gibt es in der Gruppe aber auch Stimmen die sagen: „Sitzblockaden reichen nicht mehr und wir müssen radikaler werden, damit es sich nicht so einspielt und jedes Jahr business as usual ist.“ Deswegen werden sich unsere Aktionsformen wahrscheinlich in Zukunft verändern.

Wo verortet ihr euch in der Klimagerechtigkeitsbewegung?

Wir sehen uns momentan zwischen Ende Gelände und Fridays for Future. Menschen, die auf Demonstrationen gehen und merken: „Latschdemos sind mir nicht mehr genug“, die können zu uns kommen. Und genauso auch die Menschen, die bei Ende Gelände denken: „Hey, das ist mir zu viel und in die Grube – das schaff ich nicht und das sind mir auch zu viele Menschen“, die können auch zu uns kommen.

Was sind die Merkmale von Kohle erSetzen!?

Wir achten darauf, dass wir eine ausreichende Vorbereitung haben und sich Menschen gut vorbereitet fühlen, bevor sie in Aktion gehen. Das heißt, dass sie auf jeden Fall eine Bezugsgruppe gefunden, ein Aktionstraining gemacht und einen rechtlichen Input bekommen haben. Dass Menschen wissen, wie ihre rechtliche Situation ist, ist wichtig, damit sie dann auch wirklich selbstverantwortlich in der Aktion handeln können – unabhängig davon, wie wir als Kohle erSetzen! die Menschen dann in der Aktion begleiten.

Nach der Aktion schauen wir, dass wir noch Zeit für eine Nachbereitung haben. Aktionen können emotional viel auslösen. Da ist eine gute Nachbereitung wichtig, damit Menschen das Erlebte gut verarbeiten können. Und Kohle erSetzen! ist dafür bekannt, dass wir generell gut aufeinander schauen.

Warum seid ihr dieses Jahr [2019] mit eurer Aktion im Rheinland?

Nachdem Ende Gelände im Juni das Rheinische Braunkohlerevier bespielt hat, können wir jetzt in der Sommerpause sagen: „Wir kommen wieder und bauen auch wieder Druck auf. Es gibt keine Sommerpause und keine Kompromisse fürs Klima.“ Außerdem finden wir es schön, dass die Bewegung überall hinkommen kann und sich nicht nur an einem bestimmten Kraftwerk versammelt. Wir sind überall!

Wie sprecht ihr euch mit Gruppen wie Ende Gelände und Fridays for Future ab?

Es gibt bei Ende Gelände Bündnistreffen. Da sind wir vor Ort, um uns bei Themen abzustimmen, bei denen wir glauben, dass es für die Bewegung und politisch strategisch Sinn macht. Z.B. die Landtagswahlen in Sachsen: Da sprechen wir uns unter den Akteur:innen ab und unterstützen uns als Strukturen gegenseitig.

Mit Fridays for Future haben wir vor Kurzem die Fahrradtour „Recycle Rheinland“ gemacht. Auf der Fahrradtour sind wir auf das Camp for Future und auf die Veranstaltungen von Fridays for Future gegangen. Dort haben wir gemeinsam diskutiert und für unsere Aktion mobilisiert. Wir sehen uns da schon in einem guten Kontakt miteinander.

Was macht eure Aktionen niederschwellig?

Wir achten bei der Planung darauf, dass wir bereits die Aktionsform sowie die Vor- und Nachbereitung niedrigschwellig halten. Uns ist wichtig, dass Menschen sich gesehen fühlen und Raum bekommen, um ihre Bedürfnisse zu äußern. Natürlich gibt es ein Spannungsfeld zwischen uns als Organisator:innen und den Teilnehmenden der Aktion. Wir haben ein Mehr an Wissen und brauchen eine Entscheidungshierarchie, weil sonst die Aktion an sich gefährdet wird. Auf der anderen Seite wollen wir möglichst transparent sein sowie möglichst basisdemokratisch Entscheidungen treffen und Prozesse führen. In diesem Spannungsfeld versuchen wir einen guten Mittelweg zu finden.

Ich glaube, wenn Menschen über die rechtliche Situation der Aktion Bescheid wissen und welche andere Möglichkeiten es gibt teilzunehmen – z.B. bei der Logistik oder dem Ermittlungsausschuss zu helfen –, dann macht das eine Aktion niederschwellig. Wir versuchen Möglichkeiten

aufzuzeigen und zu fragen: „Was ist mit deinen Möglichkeiten, mit deinen Handlungsoptionen? Was ist da drin?“

Was es auch niedrigschwellig macht ist, dass wir nicht so viele Menschen sind wie im Vergleich zu Ende Gelände. Es ist ein anderes Gefühl mit 350 Leuten, die wir letztes Jahr waren, als mit 1.000 Menschen unterwegs zu sein. Und das macht es für manche Menschen auch niederschwelliger.

Wie geht ihr mit der Polizei / mit Polizeipräsenz um?

Wir haben einen ähnlichen Umgang mit der Polizei wie Ende Gelände. Es gibt einen Polizeikontakt in jedem Finger2. Der Polizeikontakt dient als Sprachrohr der Gruppe, trifft also keine eigenen Entscheidungen, sondern gibt die in dem Sprecher:innenrat entschiedenen Forderungen und Nachrichten an die Polizei weiter.

Wie evaluiert ihr eure Arbeit?

In der Nachbereitung haben wir Zeit, Erfahrungen zu teilen und zu verarbeiten. Wir schauen zusammen, was gut funktioniert hat und was nicht, um für weitere Aktionen zu lernen. Die Aktivist:innen können ihre Aktion verarbeiten, nochmal drüber reden und so nachhaltig aktiv sein. Das ist wichtig, damit sie nicht von einer Aktion traumatisiert sind und dann sagen: „Wow, das ist jetzt nichts mehr für mich. Ziviler Ungehorsam ist zu viel“, sondern eher, dass sie da bestärkt und selbstwirksam rausgehen und sagen können: „Hey, das und das ist nicht gut gelaufen, aber ich kann es reflektieren und auch verstehen. Auch wenn es Polizeigewalt gegeben hat weiß ich, wann ich bereit bin dieses Risiko einzugehen und wann es mir zu viel ist. Ich kann das jetzt besser einschätzen.“

Unabhängig von der Nachbereitung mit den Aktivist:innen direkt nach der Aktion haben wir dann noch eine Nachbereitung für uns im Team. Den Termin dafür legen wir schon vor der Aktion fest. Da nehmen wir uns dann auch mehrere Tage Zeit, an denen wir gemeinsam an einem Ort sind und reden über die Aktion. Wir legen Wert darauf, dass es uns gut geht und wir nicht nach ein paar Jahren ausbrennen. Wie bei vielen anderen Akteur:innen ist es halt doch so, dass wenige Menschen viele Aufgaben übernehmen müssen. Wir wollen dem entgegenwirken.

Wo entscheidet ihr über strategische Fragen?

Das ist ganz unterschiedlich. Wir sind ein bundesweites Netzwerk in Deutschland und wohnen alle in unterschiedlichen Städten. Deswegen treffen wir uns immer wieder an unterschiedlichen Orten. Die Dauer variiert je nachdem wie viel Zeit wir brauchen und wie viel Zeit wir uns nehmen können. Das ist immer ein Jonglieren zwischen Privatleben und Aktivismus.

Wir haben dieses Jahr einen extra Termin für ein Strategietreffen. Da schauen wir, wie es bei uns als Kohle erSetzen! weitergeht und wie wir unseren Platz in der Klimagerechtigkeitsbewegung finden. Das Treffen kommt jetzt, wenn der Sommer vorbei ist. Auch wenn im September schon viele Aktionen sind, nehmen wir uns die Zeit, um für nächstes Jahr schon mal auszuloten, wo es hingehen kann. Da stellen wir uns z.B. Fragen wie: „By 2020 We Rise Up – was bedeutet das für uns?“

Was waren Themen, die ihr in eurer Gruppe am stärksten und kontroversesten diskutiert habt?

Dieses Jahr gab es viele Auseinandersetzungen über verschiedene Themen. Wir haben eine Prozess AG. Diese AG macht sich immer wieder Gedanken über den Gesamtprozess, bereitet Moderationen vor und schaut auf die Gruppendynamik. Da reden wir oft über Wissenshierarchien. Leute, die schon länger dabei sind, haben oft mehr Redebeiträge in Diskussionen. Wir achten sehr darauf, dass Menschen, die neu dazukommen, in ihren Meinungen wertgeschätzt und ernstgenommen werden.

Wir haben oft Diskussionen über unsere Entscheidungsprozesse. Vor allem darüber, wie wir Entscheidungen möglichst konsensbasiert und basisdemokratisch treffen können. Ein häufiger Diskussionspunkt ist, wie wir mit Bedenken umgehen und wie wir unterschiedliche Bedürfnisse zusammenbringen können. Ein weiterer Punkt ist, dass wir viel darauf

achten, wie die Genderbalance ist. Wenn wir jetzt z.B. eine Gruppe mit technischen Aufgaben haben, schauen wir, wie viele cis-Männer sind da, wie viele FLINTA*-Personen. Wir schauen darauf, dass wir nicht in die stereotype Verteilung von Aufgaben fallen. Dazu gehört Leute in der Gruppe zu bestärken, sich mit unbekannten Dingen, wie z.B. mit Kartenlesen oder Funkgeräten, auseinanderzusetzen. Sich anzuschauen, wie das alles funktioniert und so auch regelmäßig aus unserer Komfortzone rauszugehen. Und das bedarf auch einiger Diskussion.

Ich glaube, wir haben als Gruppe einen starken Zusammenhalt und deswegen drehen sich Diskussionen auch immer wieder darum, was wir als Gruppe brauchen und wie wir uns mit der Gruppendynamik fühlen. Das kann manchmal auch viel Raum einnehmen. Wenn es dann in den Planungsprozess geht, dann fokussiert auf die Planungsschritte der Aktion. Aber das Thema: „Wie wünschen wir uns einen solidarischen Umgang miteinander?“, das kommt immer wieder auf.

Mit welchen Gruppen arbeitet ihr zusammen und mit welchen nicht?

Das kommt immer auf die Situation an, wer gerade zu ähnlichen Themen arbeitet und wie unsere Aktionsformen sich ergänzen können. Synergien entstehen also oft situationsbezogen.

Letztes Jahr bei Ende Gelände und der Hambi [Hambacher Forst]-Besetzung und -Räumung haben wir auch gesagt: „Ja, wir müssen jetzt einfach nochmal in Aktion gehen und machen Kohle erSetzen! goes Ende Gelände daraus. Auch wenn wir jetzt gerade aus der Sommeraktion kommen.“ Einfach weil wir merkten, dass es diese Aktionen gebraucht hat. Wir passen unseren Plan der aktuellen Situation an, je nachdem wie unsere Ressourcen gerade sind.

Warum sind direkte Aktionen so wichtig?

Ich glaube, wir brauchen zivilen Ungehorsam. Wenn wir uns mit den eigenen Körpern in den Weg der Zerstörung setzen, ist das für mich ein sehr, sehr klares Zeichen. Das fühlt sich für mich selbstbestimmt an. Oft fühle ich mich gegenüber der Politik ohnmächtig. Ich merke, dass all das, was wir bis jetzt getan haben, nicht reicht. Die Politik scheitert daran, Schritte einzuleiten, die für einen konsequenten Kohleausstieg und die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze notwendig sind.

Ich hab das Gefühl, dass wir mit zivilem Ungehorsam Widerstand zeigen können, der sehr konkret und sehr greifbar ist. Viele Menschen, die in Aktion gehen, sind danach so geprägt, dass sie nochmal stärker politisiert werden. Sie gehen dann zwar wieder in den Alltag zurück, machen dann aber vielleicht nochmal mehr Bildungsarbeit und verbreiten mehr Bewusstsein für das Thema Klimagerechtigkeit. Ich glaube, dass wir bewusst den legalen Rahmen überschreiten – weil das System einfach nicht fähig ist, die Veränderungen herbeizuführen, die wir brauchen – ist ein notwendiger von vielen Schritten. Unabhängig davon habe ich das Gefühl, dass die Bewegung an sich sehr achtsam und aware ist. Deswegen fühle ich mich hier auch sehr wohl.

Für mich ist auch ein großer Teil von Kohle erSetzen!, dass mich die Beziehungen und die Kontakte hier sehr bestärken. Das gibt mir sehr viel Kraft – auch wenn die Aktionen sehr viel Kraft ziehen. Ich hab einfach das Gefühl, wir können nicht mehr innerhalb der Regeln spielen. Die Regeln haben immerhin ermöglicht, dass wir hier gerade neben dem riesigen Tagebau sitzen.

Gibt es was, das du Menschen noch gerne mitgeben magst?

Tut irgendetwas. Schaut nicht einfach zu und fragt euch dann in 100 Jahren, hätten wir mal was getan. Jede Aktionsform ist wichtig. Es ist wichtig, für Proteste und Widerstand den eigenen Ausdruck zu finden. Und es ist unglaublich wichtig, dass es unterschiedliche Formen gibt. Kurzum: Keep on doing! Nicht aufhören, hartnäckig bleiben und dabei gut aufeinander aufpassen.


Fragen zur Einordnung von Kohle erSetzen!:
  • Wie würdest du das Verständnis von gesellschaftlicher Machtverteilung der Gruppe Kohle erSetzen! beschreiben?
  • Was würdest du als die Hauptstrategie von Kohle erSetzen! beschreiben? Was als die Haupttaktik?
  •  Wodurch grenzt sich Kohle erSetzen! zu anderen Akteur:innen ab?
  • Was könnte an den Aktionen von Kohle erSetzen! hochschwellig sein?
Fragen zum Weiterdenken in deiner Gruppe:
  • Wie verortet ihr euch als Gruppe in der Klimabewegung?
  • Teilt ihr die Einschätzung der Person von Kohle erSetzen! zu zivilem Ungehorsam? Warum (nicht)?
  • Sind eure Aktionen niederschwellig? Wenn ja, warum? Wenn nein, ist das eine bewusste Entscheidung eurer Gruppe und wenn ja, warum?
  • Wo passen für euch die Problemanalysen, Strategien und Taktiken von Kohle erSetzen! gut zusammen? Wo seht ihr Widersprüche oder Leerstellen?