Eine solidarische Aktions- und Mitmachküche
Das Küchenkollektiv minimal.is.muss wurde 2016 rund um das erste Klimacamp bei Wien gegründet. Sie versorgen politische Veranstaltungen, wie Demonstrationen oder Aktionscamps, mit Essen. Ein Schwerpunkt dabei ist die Verwendung von Lebensmitteln aus dem Überschuss – also Lebensmittel, die normalerweise im Müll landen würden.
Die Größe des Kollektivs schwankte zwischen zwei und 10 Menschen, über 100 Menschen unterstützten insgesamt bei verschiedenen Aktionen. Mittlerweile hat sich minimal.is.muss aufgelöst.
Das Interview ist teils 2019 auf dem Klimacamp Leipzig geführt, teils 2021 in Wien nach der Auflösung des Kollektivs aktualisiert worden.

Was genau ist minimal.is.muss und was bedeutet der Name?
minimal.is.muss ist ein Küchenkollektiv, das den Anspruch hat, mit minimalem Equipment, minimalem ökologischen Fußabdruck, minimalem Geldeinsatz und minimalem Aufwand Gruppen der Klimagerechtigkeitsszene mit leckerem Essen zu unterstützen. Bis auf den letzten Aspekt – also dem minimalen Aufwand – haben wir das auch ganz gut hinbekommen. Es hat sich dann doch herausgestellt, dass es aufwändig ist, mit zusammengewürfeltem Equipment und mit Hilfe von Freiwilligen Lebensmittel aus dem Überschuss zu verarbeiten. Hätten wir uns eine perfekte Küche zusammengekauft oder Gemüse im Großhandel eingekauft oder wären wir ein eingeübtes, festes Team gewesen, gäbe es uns vielleicht heute noch. Aber so war nach 3 Jahren die Luft draußen.
minimal.is.muss stand für mich immer dafür, mit wenig viel zu erreichen. Heute ist es für mich eine Erinnerung daran, dass nicht alles auf einmal möglich ist und wir Prioritäten setzen müssen.
Versteht ihr euch als Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung?
Ja. Ich würde sagen, die Klimagerechtigkeitsbewegung ist sowas wie das Heimspiel für uns. Der Ort, wo wir am meisten Unterstützung und
Wertschätzung erfahren haben. Wir haben schon auch für andere Sachen gekocht, aber in der Klimagerechtigkeitsbewegung haben wir gespürt, dass wir am richtigen Ort sind.
Hattet ihr einen festen Ort, wo ihr gekocht habt?
Ja, von 2018-2020 hatten wir in Wien eine feste Küche in einem Souterrain zusammen mit einer Foodcoop und weiteren Projekten. Es war einfach fürs Projekt ein bisschen zach, als wir noch keine Küche hatten, wo mensch einfach so mal kochen kann. So einen Space zu haben, den mensch nicht abbauen muss, sondern in den halt weiter investiert werden kann, war eine große Motivation.
Exkurs: Foodcoop
Unter Foodcoop oder auch Lebensmittelkooperative versteht mensch einen Zusammenschluss von Menschen, die selbstorganisiert Produkte direkt von Erzeuger:innen beziehen. Sie verstehen sich als Alternative zum aktuell vorherrschenden Lebensmittelsystem. Eine wichtige Rolle spielt neben der Beziehung zwischen Konsument:innen und Erzeuger:innen die Regionalität der Produkte.
Mehr Infos: https://foodcoops.at/was-ist-eine-foodcoop/
Die Entscheidung haben wir mit mehreren Menschen getroffen, die Verantwortung dafür übernehmen wollten. Es war sehr wenig Miete und die Foodcoop übernahm davon auch recht viel. Das heißt, die konnten mehr als die Hälfte von dieser Miete übernehmen. Und dann haben wir zwischen den anderen Projekten, Brotpiloten* und Ouvertura – einer CSA –, und uns den Rest aufgeteilt. Und das war dann einfach nicht mehr so viel und dafür zahlte es sich schon allein als Lagerspace aus. Dass wir dann auch noch den Space für andere Sachen nutzen konnten, war dann irgendwie der ausschlaggebende Punkt.
Exkurs: CSA
CSA steht für Community-supported agriculture oder Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi). Diese Begriffe bezeichnen eine Organisationsform in der Landwirtschaft, in der Konsument:innen und Landwirt:innen direkt miteinander kooperieren. Menschen, die Lebensmittel beziehen möchten, legen einen monatlichen oder jährlichen Betrag fest, den sie für einen Ernteanteil zahlen. Damit werden die Kosten der Landwirt:innen inklusive Lohn gedeckt. Die Menge der Lebensmittel pro Ernteanteil variiert je nach Erntejahr. Damit wird das Risiko für Ertragsschwankungen auf viele Schultern – allen Ernteteiler:innen – verteilt.
Mehr Infos: https://www.solidarische-landwirtschaft.org/startseite
Auch vorher hat eine Person von uns da schon für Kochaktionen vorgekocht. Und hat es dann dort hingebracht, wo wir es gebraucht haben. Es ist manchmal einfach sinnvoll, sich – je nach Ort – die Logistik und den Auf und Abbau zu sparen. Und da sich das bewährt hatte, haben wir uns dann für diesen Ort entschieden.
Wie und wo habt ihr Entscheidungen getroffen?
Am Ende gab es neben mir eine weitere Person, die Zugang zu Facebook, E-mail und so weiter hatten, wo Anfragen reingekommen sind. Wir waren in Kontakt und entschieden miteinander, was wir gemacht haben und was nicht.
Ich hatte 2019 die Verantwortung für die Küchenvorbereitung fürs Klimacamp, aber habe vor Ort dann so gut wie keine Verantwortung getragen. Sowas besprachen wir am Anfang des Jahres. Die andere Person machte eher die kleinen Aktionen.
Wie habt ihr eure Arbeit evaluiert?
Also am Ende waren wir ja hauptsächlich zwei Personen. Da passierte das dann so im Austausch miteinander. Es gab keinen fixen Punkt, teilweise passierte das auch schon bei der Aktion. Aber eher halt so: „Ah, das sollten wir machen“, aber so ein richtiges Evaluieren mit Setting und Begleitung gab es nicht.
Mit wem habt ihr kooperiert und mit wem nicht? Gab es da bei euch klare Kriterien?
Naja, es gab auf der einen Seite Gruppen, die wir bekocht haben, wie
das Klimacamp, Partycipation und ähnliche Gruppen. Dann gab es Produzent:innen, von denen wir Lebensmittel bezogen haben. Da gab es manche, die wir gut kannten und manche, die wir nicht gut kannten. Und einen Großhändler für den Rest unseres Bedarfs. Außerdem gab es Veranstaltungsorte, an denen andere Gruppen etwas organisiert haben, zu denen wir gute Verhältnisse hatten.
Gab es auch Gruppen, die euch zu radikal waren? Wo ihr gesagt habt, für die Kochen wir nicht?
Solche Gruppen haben uns nicht angefragt. Also die Frage hat sich uns nie gestellt. Das ist auch ein Mitgrund, der dagegen sprach, irgendwie Werbung zu machen. Dann hätten wir uns dem voll ausgesetzt. Auf das hatte ich überhaupt keine Lust. Es gab eh viel mehr Anfragen als wir bekochen konnten. Leute aßen unser Essen bei einer Veranstaltung, bei einem Event und dachten sich dort dann: „Ah ja, das könnte ja für unser Event auch passen“ – durch diesen Filter passierte es nicht, dass uns Gruppen fragten, die nicht für uns passten.
Hast du das Gefühl, dass durch das gemeinsame Kochen Veränderung passiert ist?
Es passiert ganz automatisch, dass sich was bei den Mitkochenden ändert. Ich meine, das fängt an bei so Sachen wie dass mensch irgendwie versteht, warum es Hygienestandards gibt und was passieren kann. Gleichzeitig lernt mensch auch mit den eigenen Sinnen umzugehen und selber einzuschätzen, was essbar ist und was nicht. Bis hin zu Sachen wie: Wie wollen wir mit Wissens- und Erfahrungsgefällen beim Kochen umgehen?
Es gibt Situationen, wo ich vielleicht wen beobachtet habe, wie er:sie etwas macht und ich selbst einen effizienteren, schnelleren, einfacheren Weg kannte. Dann ist die Frage, wie ich das der Person sage, damit sie das auch gut annehmen kann. Diese Dinge wurden dann auch in der Gruppe während der Kochaktion besprochen.
Es ging auch um einen legeren Umgang mit Geld, damit es uns nicht bestimmt. Essen ist für alle da und keine Ware, die verkauft wird. Das sind jetzt mal die ersten Sachen, die mir direkt einfallen, wo wir Veränderung geschaffen haben.
Außerdem ging es auch einfach darum, wie wir mit Grundzutaten kochen können, ohne jetzt irgendwie fertige oder halbfertige Sachen zu verwenden. Egal jetzt ob vegan oder nicht. Viele Menschen glauben, dass sie beim
veganen Essen darauf angewiesen sind, irgendwelche Fertigprodukte kaufen zu müssen. Es ging darum, dass wir selber lernen Soßen, Aufstriche und so weiter zu machen. Das haben Menschen beim Kochen gelernt und auch die Leute ein wenig, die unser Essen gegessen haben.
Habt ihr euch als Dienstleister verstanden?
Naja, wir hatten ja einen Selbstzweck. Also wir haben das ja gemacht, weil es uns Spaß gemacht hat und wir uns in dem wirksam gefühlt haben. Wir haben das gemacht, weil wir es wollten und nicht, weil uns irgendwer mal erzählt hatte, dass das viel Geld bringt und deswegen eine sinnvolle Karriere wäre. Aber jetzt bin ich auch zurückgeworfen auf die Frage, was eigentlich eine Dienstleistung ist. Was verstehen wir im Kapitalismus unter einer Dienstleistung? Ich weiß gar nicht, ob ich da eine direkte Antwort darauf habe. Also eigentlich ist der Servicesektor ja alles, was halt nicht Primär- und Sekundärproduktion ist. Wo es nicht um Verarbeitung geht oder um Herstellung, aber… Ja, insofern fällt das Kochen halt darunter. Wir haben das schon gemacht, um anderen Leuten und Gruppen Arbeit abzunehmen. Und das ist halt der Sinn hinter einer Dienstleistung. Aber wir haben es nicht gemacht, um sie abhängig von uns zu machen. Also wenn ich mir jetzt Frisör:innenläden anschaue oder Nagellackstudios oder sonst was, da muss mensch dann extra werben dafür, dass Leute Lust darauf kriegen. Damit sie dann hingehen und sich das machen lassen von jemanden, der das gelernt hat. Dieser ganze Werbeaspekt fiel bei uns vollkommen raus. Es ging nicht darum, irgendwelchen Leuten etwas aufzuschwatzen oder aufzudrängen, sondern sich einen Teil von der Versorgung rauszunehmen und gut zu machen. Und den braucht es bei einer Großveranstaltung halt sowieso.
Das heißt eure Rolle war, dass ihr anderen Menschen ermöglicht habt, sich auf ihren Teil der politischen Arbeit zu konzentrieren?
Ja. Es müssen nicht alle alles können. Das ist, glaube ich, ein wichtiges Learning für die Linke und überhaupt für die Bewegung: Es ist vollkommen okay Arbeitsteilung auf so einem Maßstab zu machen – gerade mit der Grundversorgung und so Sachen, die einfach stehen müssen, die einfach Voraussetzung sind. Als allerersten Schritt braucht es einmal Arbeitsteilung – gewisse Gruppen können gewisse Aspekte richtig gut. Dann gehts um Skillshare, damit am Ende alle alles können. Aber das kann nicht der Anspruch straight away sein, dass jede Gruppe alles kann.
Würdest du sagen, es hat etwas mit eurer Theory of Change zu tun, dass ihr euch aufgelöst habt?
Ja und nein. Auflösen klingt so negativ und so absolut.
Kochen wir noch als minimal.is.muss? Nein. Wenden Menschen ihre erlernten Kompetenzen in anderen Kontexten an? Ja. Gibt es einen einzelnen Grund warum wir aufgehört haben? Nein. Haben alle Beteiligten etwas über sich selbst in Gruppen gelernt und wie sie das in Zukunft anders machen wollen? Ja. Bin ich traurig, dass die Zeit vorbei ist? Nein. Bin ich dankbar für den Schritt etwas aufzulösen, was uns mehr Energie genommen als gegeben hat? Ja. Haben wir es geschafft, das Kollektiv aufzulösen, ohne neue Verletzungen zu verursachen? Nein. Und werden Einzelne in zukünftigen Projekten zusammen kochen und arbeiten? Ja.
Ein wichtiges Learning, das ich mit etwas Abstand sehen kann, ist, dass es okay ist mit Dingen auch wieder aufzuhören. Vor allem, wenn sie auf unsere Kosten gehen oder wir unseren Blick erweitern und unsere Perspektive ändern. Seitdem sehe ich Veränderung mehr als etwas Zyklisches. Wir sind nicht in die falsche Richtung gegangen, der Weg hat uns etwas gezeigt, was wir jetzt anders machen und in unsere Arbeit integrieren. Und so wird es uns in Zukunft hoffentlich noch öfter gehen, dass wir Erfahrung machen, die uns hinterfragen lassen, was wir hier mit unserer Zeit auf diesem Planeten anfangen wollen.
Fragen zur Einordnung von minimal.is.muss:
- Wie würdest du das Verständnis von gesellschaftlicher Machtverteilung der hier interviewten Person beschreiben?
- Was würdest du als die Hauptstrategie des Kochkollektivs beschreiben? Was als die Haupttaktik?
- Wie würdest du das Verhältnis der interviewten Person zu Geld beschreiben?
- Wie würdest du die Organisierung des Kollektivs beschreiben?
Fragen zum Weiterdenken in deiner Gruppe:
- Teilt ihr die Einstellung der interviewten Person bezüglich Arbeitsteilung? Warum (nicht)?
- Gibt es bei euch Aufgabenbereiche, die ihr an externe Gruppen auslagert? Was sind das für Aufgabenarten? Warum gerade die?
- Wie ist das Verhältnis zu Geld in eurer Gruppe? Wo und wie wird über Geld geredet?
- Teilt ihr die Einschätzung, dass Veränderung zyklisch passiert?